Panjiayuan – Chinas bekanntester Antik- und Flohmarkt

  

„Alles echt antik”, beteuern die Verkäufer. Doch mein chinesischer Verwandter, Sachverständiger für Antiquitäten, weiß es besser. „Nichts ist hier echt antik”, sagt er. Es sei denn, man käme im Morgengrauen. Dann könne es passieren – zwar nur in seltensten Fällen, aber immerhin -, dass man etwas Interessantes findet. Allerdings dürfe man dann meist nicht fragen, wie diese Sachen in den Besitz der Händler geraten sind. „Also Diebesgut?”, frage ich. Der Verwandte hebt die Schultern und sagt: „Das kann durchaus sein. Aber manchmal sind es auch Bauern oder Arbeiter, die irgendwo etwas bei Erdarbeiten ausgebuddelt oder in Abbruchhäusern entdeckt haben und nun zu Geld machen wollen. Beispielsweise viele Jahrhunderte alte Keramik. Solche Sachen werden hier von Kennern in den frühen Morgenstunden sofort entdeckt und gekauft.” Für Chinesen bieten sich auf diese Weise günstige Gelegenheiten. Ausländer sollten bedenken, dass sie mit derlei Einkäufen bei der Ausreise durch die chinesische Zollkontrolle müssen, was sich als schwierig gestalten könnte.


Panjiayuan, im Chaoyang-Distrikt im Südosten Beijings gelegen, ist ein großer Spaß für jeden, der chinesisches Kunsthandwerk und alles was im weitesten Sinne damit zu tun hat, mag. Und wer grundsätzlich davon ausgeht, dass es sich bei den „Antiquitäten“ fast ausschließlich um Repliken und Imitationen handelt, wird auch nicht enttäuscht und kann herrliche Sachen zu günstigen Preisen erstehen. Vorausgesetzt man ist gut im Handeln.
Meine letzten Besuche auf dem Panjiayuan liegen schon viele Jahre zurück. Damals war der Markt noch überschaubar. Inzwischen bedeckt er ein riesiges Areal mit Verkaufsflächen sowohl unter freiem Himmel als auch in Hallen und Buden. Die Aufteilung in Themengebiete ermöglicht rasche Vergleiche mit dem Angebot der benachbarten Stände.


Eine Stunde wollten wir bleiben. Mehr Zeit lohne nicht, meinte mein Verwandter, der Experte, weil das meiste seiner Meinung nach ja doch nur Ramsch wäre. Er musste vier Stunden ausharren, und wenn es nach mir gegangen wäre, noch länger, denn ich konnte mich gar nicht sattsehen. Es werden nicht nur „Antiquitäten” angeboten, sondern vieles mehr was das Herz erfreut wie Schmuck, Kleidung, Gemälde, Skulpturen, Porzellan, chinesische Möbel, Kunsthandwerk ethnischer Minderheiten, Schnitzereien usw.


Fündig wurde ich auf dem Büchermarkt, wo es neben Antiquarischem viele Restposten gibt, beispielsweise von Bildbänden, für die man im Buchhandel einst viel Geld zahlen musste.


Auf jeden Fall kann ich nur jedem empfehlen, diesen Markt einmal zu besuchen. Er gehört heute zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Panjiayuan ist jeden Tag geöffnet, jedoch kommen viele Händler nur am Wochenende, wenn der Besucherandrang besonders stark ist.



Die Pflaumenblüten von Chaoshan

 

Im Norden Chinas liegt oft noch Schnee, in den südlicheren Regionen kann es regnen, häufig weht ein feuchtkalter Wind, der unangenehm in Glieder und Gelenke fährt, und doch sind im ganzen Land Millionen von Menschen auf den Beinen, wenn jedes Jahr aufs Neue das gleiche Wunder geschieht: Aus scheinbar verdorrten und abgestorbenen Zweigen knorriger alter Bäume und zerzauster Sträucher sprießen zarteste Blüten hervor und verwandeln Hügel, Park- und Uferanlagen in ein lieblich duftendes Blütenmeer.
Die Winterpflaume! In China geliebt und hoch verehrt, von unzähligen Dichtern und Malern besungen und getuscht. Sie steht für unbändige Lebenskraft, für das Wiedererwachen der Natur, denn sie kündigt den nahenden Frühling an. Stolz und standhaft trotzt sie Frost und Schnee, genau wie ihre beiden Gefährten, die Kiefer und der Bambus. Zusammen werden sie die „drei Freunde des strengen Winters“ genannt. Vorbildliche Eigenschaften schreibt man der Winterpflaume zu, wie Bescheidenheit, Anspruchslosigkeit und Ausdauer. Deshalb nennen viele Eltern ihre Töchter nach ihr, in der Hoffnung, diese mögen sich ebenso vorbildlich entwickeln.
Es ist vor allem ihre makellose Schönheit, die die Pflaumenblüte so einzigartig macht. Leider währt die Zeit ihrer vollen Entfaltung nur kurz. Umso mehr bemüht man sich im ganzen Land, dieses Ereignis mit verschiedensten begleitenden Veranstaltungen gebührend zu feiern. Ein paar befreundete Maler fragten meinen Mann und mich, ob wir Lust hätten, sie übers Wochenende zum Pflaumenblüten-Festival in den Chaoshan Hügeln nahe Hangzhou zu begleiten. Natürlich hatten wir Lust.

Schon seit alters gibt es in China einige Regionen, die für ihre Pflaumenblüte besonders berühmt sind. Viele neue Gebiete sind in den letzten Jahren hinzugekommen und sie alle wetteifern heute um den Ruf der schönsten Pflaumenblüte. Auch in Chaoshan hat man sich mächtig angestrengt und viel Geld investiert, um in dem insgesamt fünfzig Hektar großen Gebiet Anpflanzungen zu ergänzen und einzelne Parkanlagen neu zu gestalten. Chaoshan rühmt sich, zwei über tausend Jahre alte Pflaumenbäume zu besitzen. Südöstlich des Yangzi-Flusses gehören diese immerhin zu den fünf ältesten.
Glücklicherweise trafen wir einen Tag vor Beginn des Festivals ein und somit vor dem großen Besucheransturm. So konnten wir ungestört und in aller Ruhe über schmale Wege durch die atemberaubend schönen Anlagen streifen. Welch eine Pracht! Soweit das Auge reichte: überall Bäume und Sträucher, deren weiße, rosa, rote und gelbe Blüten sich gerade öffneten. Ich geriet in einen wahren Farbenrausch und schoss ein Foto nach dem anderen, nur um festzustellen, dass nach der nächsten Wegbiegung und dem nächsten Felsvorsprung ein noch schöneres Motiv wartete. In einem eigens für das Festival angelegten Kunstzentrum war dann noch eine Ausstellung mit den Arbeiten berühmter Künstler anzusehen, natürlich rund um das Thema Pflaumenblüte.
Was machen zwei Dutzend Maler und Kalligraphen nach einem üppigen Abendessen? Ich dachte, sie würden zu Pinsel und Tusche greifen und ihre Eindrücke auf Reispapier festhalten. Falsch gedacht. Sie spielen Majiang (Mah Yongg). An einem der zahlreichen Tische fehlte ein vierter Spieler. So musste ich einspringen. Zwar spiele ich nur alle Jubeljahre Majiang. Aber das Glück war mir hold. Was immer ich brauchte, ich bekam den richtigen Stein und schickte meine Mitspieler sehr zu deren Verdruss schließlich „in den Pflaumengarten“, was mir am nächsten Tag zur Belohnung ein schönes Bild einbrachte, denn kurz vor unserer Abreise griffen sie dann doch noch zu Pinsel und Tusche. Ein gelungener Ausflug! Das Pflaumenblüten-Festival von Chaoshan? Es ist auf jeden Fall einen Besuch wert.



Der See der tausend Inseln

 

Von der schlechten Atemluft in manchen chinesischen Städten haben wir in den letzten Wochen schon viel gehört. Wie aber steht es eigentlich um die Trinkwasserqualität? Dass wir in Deutschland einfach nur den Hahn aufzudrehen brauchen, um gutes Wasser genießen zu können, ist ein Luxus, der vielen Menschen gar nicht bewusst und in nur wenigen anderen Ländern gegeben ist. Fragt man in Shanghai, ob das Leitungswasser genießbar ist, erhält man meist eine typisch chinesische, sprich ungenaue Antwort: es sei „nicht gut trinkbar“. Ja, was denn nun? Kann man oder kann man es nicht trinken? Viele trinken es, kochen es aber auf jeden Fall vorher ab. Manche Haushalte installieren in ihrer Küche eine eigene Filteranlage. Andere bestellen sich das Trinkwasser in blauen Plastikkanistern ins Haus. Das geht denkbar einfach. Ein Anruf genügt und schon kommt ein Lieferant aus der Nachbarschaft auf seinem Moped angedüst und wuchtet ein, zwei Flaschen in die Wohnung oder ins Büro, jede 19 kg schwer, für etwa 16 Yuan, knapp 2 Euro, pro Flasche.

Es gibt verschiedene Wasseranbieter. Wir haben uns eher zufällig für das Nongfu-Mineralwasser entschieden. Man sieht es überall in großen und kleinen Flaschen abgefüllt. Halb Shanghai scheint es zu trinken. Da habe ich mich manchmal gefragt, wo soviel Wasser eigentlich herkommt. Ob es nicht vielleicht doch aus Shanghaier Wasserleitungen stammt? Aber nein, wurde mir versichert. Es stamme aus dem Qiandaohu, dem See der tausend Inseln. Von dem hatte ich vorher noch nicht viel gehört. Doch dann bekam ich Gelegenheit, ihn mir einmal genauer anzusehen.


Er liegt in der Provinz Zhejiang und ist von Menschenhand geschaffen. Ende der 1950er Jahre baute man dort den über hundert Meter hohen Xin’an-Staudamm und flutete ein ganzes Tal mit dem Wasser des Xin’an-Flusses. Dadurch entstand ein Seengebiet von 573 Quadratkilometern mit – wie es der Name „Qiandaohu“ schon andeutet – über tausend größeren und mehreren tausend kleineren Inseln. Eine atemberaubend schöne Landschaft, vielerorts romantisch anmutend, mit klarem Wasser, bewaldeten Hügeln und guter Luft. Meine Begleiterin, die dort aufgewachsen ist, erzählte mir von einer wahren Idylle, die sie während ihrer Kindheit am Ufer des Sees erlebt hat. Heute ist davon zumindest an den Wochenenden und Feiertagen nicht viel zu spüren. Denn seit den 1990er Jahren hat sich die Gegend in ein überaus beliebtes Naherholungsgebiet verwandelt mit Hotels, Restaurants und Läden unterschiedlichster Güte. Veranstalter bieten Bootsausflüge zu einzelnen Inseln an, etwa zur Insel der Vögel oder der Schlangen. Wer das Abenteuer sucht, kann auch mit entsprechender Ausrüstung zur einstmals bekannten uralten „Stadt der Löwen“, die auf dem Grund des Sees liegt, hinabtauchen. Wir entschieden uns für einen Ausflug zur Affeninsel und zischten mit einem kleinen Motorboot und gesichert durch Schwimmwesten über das Wasser hinweg. Auf der Insel angekommen merkten wir schnell, dass Vorsicht geboten war, denn die diebischen Bewohner erleichtern gern die ahnungslosen Besucher um Brille, Hut und alles Essbare.

Nach einem langen Nachmittag voller Trubel und Geschrei auf einzelnen Inseln und am Ufer des Sees, nach einem ausgiebigen Essen und einem Streifzug durch die Andenkenläden machte ich mir dann aber doch langsam Sorgen um die Qualität meines schönen Nongfu-Mineralwassers. Aber meine Begleiterin winkte ab und meinte augenzwinkernd: „Wir haben uns mit dem Seewasser immer die Füße gewaschen und das hat niemandem geschadet.“



Tianmushan – im Reich der Baumriesen und von der Weisheit chinesischer Bauernburschen

 

Schon am Ausgangspunkt unserer Wanderung bestürmten sie uns: acht junge Bauernburschen aus der Umgebung, die uns mit ihren vier Tragesesseln durch das Gebirge schleppen wollten. Sahen wir so aus, als hätten wir das nötig? Ich – für meinen Teil – besaß reichlich Wandererfahrung. Zwar lag das schon einige Jährchen zurück, aber immerhin. Mit meinen Eltern war ich viele Male in den Sommerferien durch Alpen und Dolomiten gewandert. Später, in den 1980er Jahren, erwanderte ich dann manch chinesisches Gebirge, wie den Huangshan, von dem es heißt, man könne alle anderen Berge vergessen, wenn man nur ihn gesehen hätte. Zugegeben, schon damals glaubte ich, mein letztes Stündchen hätte geschlagen, so anstrengend war die Tour. Chinesische Wanderwege führen nicht wie in Alpen und Dolomiten über mehr oder minder steile Wege, sondern über steinerne Stufenpfade. Ob im Huangshan, Emeishan oder Wuyishan, sobald es im Gebirge steil wird, geht es über Steinstufen, die uneben und unregelmäßig hoch sind.

Unser ortskundige und durchtrainierte Freund versicherte uns, dass die von ihm geplante Tour nicht viel mehr als ein längerer Spaziergang, eben ein kleiner Ausflug sein würde. So lehnten wir das Angebot der Bauern dankend ab. Sie begannen ein lautes Palaver, zeigten auf meine drei Freundinnen und mich und meinten, wir würden sicherlich schlapp machen. Freundlicherweise gingen sie im Preis auch noch etwas herunter. Ich sollte mich auf einem Tragesessel durch ein chinesisches Gebirge schaukeln lassen? Lächerlich! Nie und nimmer! Die anderen lehnten das Angebot ebenso brüsk ab. Und so zogen wir los. Jedoch folgten uns die jungen Burschen leichtfüßig, aber in gebührendem Abstand und fröhlich schwatzend in einem für uns alle unverständlichen Dialekt. Auch wir waren eine lustige Truppe von insgesamt neun Personen, die ebenfalls meist alle gleichzeitig durcheinander redeten und gestikulierten, aber manchmal hielten wir eben auch inne und blieben stehen, überwältigt von der grandiosen Landschaft: Tianmushan, das Reich der uralten und seltenen Bäume, von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt. Es liegt im Westen der Provinz Zhejiang und ist für jeden, der sich auch mal abseits der üblichen Touristenpfade bewegen möchte, ein absolutes Muss. Inmitten üppiger Vegetation und schroffer Felsen stehen Baumriesen, deren Stämme sich nur von mehreren Personen mit ausgestreckten Armen umfassen lassen. Ginkgo, Bambus, Goldlärchen, Tulpen- und Kuchenbaum und vieles mehr sind zu sehen. Wer hier wandert, kommt zur Ruhe und verstummt in Ehrfurcht vor der atemberaubenden Natur. Außer man hat acht gutgelaunte Bauernburschen im Rücken. Mehrmals baten wir sie, doch lieber umzukehren. Wir würden ihre Dienst sowieso nicht in Anspruch nehmen. Sie lachten nur und blieben uns auf den Fersen, denn sie wussten es besser.

Nach zwei Drittel der Tour kam nämlich doch der Moment, an dem die erste von uns älteren Mädels glaubte, keinen Schritt mehr über Stock und Stein kriechen zu können, und schließlich saßen wir alle vier in den Tragesesseln, übrigens zum gleichen Preis, den wir schon am Ausgangspunkt der Wandertour hätten zahlen können, und dennoch waren wir unglaublich dankbar, dass sich die freundlichen Jungs nicht hatten abschütteln lassen. Auch wenn uns das viel Spott von unseren Männern eintrug.



Zhoushanqundao – der Archipel der 1390 Inseln

 

Guanyin, die beliebteste Gottheit des chinesischen Buddhismus, lockt Millionen Besucher zum Archipel der 1390 Inseln. Auch Karl Gützlaff, ein deutscher Missionar, war schon dort gewesen, allerdings nicht um Guanyin anzubeten.

Kürzlich rief mich eine Frau an, die in Zhoushan zu Hause ist. Gleichnamiger Archipel befindet sich mit seinen 1390 Inseln vor der Küste der Provinz Zhejiang im Ostchinesischen Meer. Ich kannte die Frau nicht. Sie aber kannte meinen Mann und mich, denn sie hatte mehrere Artikel und Bücher von uns gelesen. Außerdem war sie eine gute Bekannte eines uns vertrauten Bekannten. Sie wollte uns gern persönlich kennen lernen und fragte, ob wir nicht Lust hätten, sie auf der Insel zu besuchen. Nach Rücksprache mit unserem vertrauten Bekannten nahmen wir die Einladung an, denn in China gilt, dass deine Freunde auch meine Freunde sind. Außerdem wollte ich schon seit langem mal wieder nach Zhoushan fahren. Knapp dreißig Jahre zuvor war ich schon einmal dort gewesen, auf Putuoshan, einer Berginsel, die zu dem Archipel gehört und als einer von vier heiligen buddhistischen Bergen in ganz China verehrt wird. Damals war der Besuch mit einer beschwerlichen Anreise verbunden. Von der Hafenstadt Ningbo aus ging es auf einer wenig Vertrauen erweckenden Fähre fünf Stunden lang durch unruhige See. Nur wenige Besucher verirrten sich damals dorthin, wo die Zeit still zu stehen schien, und so herrschte an den heiligen Stätten von Putuoshan eine wahrlich himmlische Ruhe. Ein bis heute unvergesslicher Eindruck. Auch wenn sich Tempel und Klosteranlagen nach Jahrzehnten der Vernachlässigung und Zerstörung in einem meist bedauernswerten Zustand befanden.

Diesmal erfolgte die Anreise von Shanghai aus per Flugzeug, und in nur wenigen Minuten erreichten wir unser Ziel. Wir hätten auch mit dem Auto fahren können, denn inzwischen ist Zhoushan über mehrere gigantische Brückenkonstruktionen mit dem Festland verbunden.Frau Liu empfing uns mit Fahrer und großer Limousine. Sie war eine erfolgreiche Geschäftsfrau, Anfang sechzig und eine überaus gepflegte Erscheinung. Von der Unterbringung bis zur Verpflegung hatte sie alles aufs Beste vorbereitet. Zunächst erfrischte sie uns mit köstlichem grünem Tee, und dann ging es auch schon in ein feines Meeresfrüchterestaurant. Der Fischfang hat in dieser Region von jeher eine herausragende Rolle gespielt, denn Zhoushan zählt zu den wichtigsten Fischereigebieten Chinas. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich die Einheimischen hervorragend auf die Verwertung und Zubereitung von Meeresfrüchten verstehen. Eine Spezialität sind Gelb- und Tintenfisch, die überall frisch und in den verschiedensten Variationen angeboten werden. Die wirklichen Kenner unter den Besuchern kaufen getrocknete Meeresfrüchte, weil diese ganz besonders schmackhaft und lange haltbar sind.

Ich hatte schon geahnt, dass dreißig Jahre Öffnungs- und Reformpolitik Zhoushan enorm verändert haben müssen. Moderne Gebäude, breite Straßen und viele Autos sind inzwischen auch in der chinesischen Provinz eine Selbstverständlichkeit. Doch was war mit Putuoshan geschehen, jenem religiösen Heiligtum? Die Berginsel ist dem Bodhisattva Guanyin geweiht, einer ursprünglich indischen männlichen Gottheit, die seit dem zehnten Jahrhundert in China als weibliche Erscheinung verehrt wird. Sie verkörpert Barmherzigkeit, Hilfsbereitschaft, Weisheit und Liebe. Es sind vor allem die Frauen, die sie verehren und lieben, denn sie hilft bei der Suche nach einem geeigneten Ehemann oder auch wohlhabendem Schwiegersohn, sie spendet Kindersegen und steht den Wöchnerinnen bei. Guanyin ist die populärste Gottheit des chinesischen Buddhismus.Wahrscheinlich ließen sich die Leute von Zhoushan von jenen in Wuxi, in der Provinz Jiangsu, inspirieren, die eine 88 Meter hohe Sakyamuni-Buddha-Statue errichteten und damit gewaltige Besucherströme anlocken. Sie stellten ebenfalls eine imposante Skulptur auf, natürlich eine Guanyin, wenn auch nur von bescheidenen 20 Metern Höhe, die es aber mit Lotosthron und Sockel auf immerhin 33 Meter bringt. Seitdem strömen auch hier aus nah und fern Besucher herbei, jedes Jahr mehrere Hunderttausend – wenn nicht gar Millionen -, denn die Stätte gilt inzwischen als „ling“, als besonders wirksam, das heißt, dass dort geäußerte Wünsche und Sehnsüchte oft in Erfüllung gehen. Von himmlischer Ruhe ist heute auf dem Putuoshan – zumindest tagsüber – nicht mehr viel zu spüren, dafür sorgen schon allein die Fremdenführer, die mit Megaphonen bewaffnet ihre Besuchergruppen über alles Sehenswürdige informieren und sie durch die renovierten und herausgeputzten Tempel- und Klosteranlagen schleusen. Sogar einige Mönche bedienen sich inzwischen der Megaphone, wenn der Ansturm der Gläubigen zu groß ist.

Aber Zhoushan ist nicht nur als religiöses Zentrum interessant. Auch von der Historie gibt es manch Bemerkenswerte zu berichten. Der Archipel war in vergangenen Zeiten von strategisch höchster Bedeutung, denn von den Inseln aus ließ sich nicht nur die Yangzi-Mündung kontrollieren, sondern auch ein weiter Teil der chinesischen Küste und damit die Schifffahrtswege nach Norden und Süden. Das wussten auch die Briten, als sie um 1840 China zur Öffnung des Landes zwingen wollten, um ungehindert indisches Opium verkaufen zu können. Der chinesische Kaiser hatte den Opiumhandel verboten und die ausländischen Händler des Landes verwiesen. Nur in Kanton durften sie mit lizensierten chinesischen Kaufleuten Handel treiben und sich in einer Enklave einen Teil des Jahres aufhalten. Doch die enormen Renditen des Opiumhandels waren viel zu verlockend, als dass man bereit gewesen wäre, sich dem Verbot zu beugen, und so blühte ein reger Schmuggel. Natürlich war den Händlern klar, dass sie bei freien Handelsmöglichkeiten wesentlich höhere Gewinne erzielen könnten. Ein Grund für sie, die Öffnung der Märkte zu erzwingen. Tatkräftig unterstützt wurden die Briten von dem Deutschen Karl Gützlaff, der als umstrittenste Gestalt unter den westlichen China-Missionaren gilt. Er war besessen von der Idee, China noch zu seinen Lebzeiten zu christianisieren, und da er glaubte, dass allein durch die Lektüre christlicher Texte die Herzen der Chinesen für das Wort Gottes geöffnet werden könnten, tat er alles, um möglichst viele chinesischsprachige Traktate unter der einheimischen Bevölkerung zu verteilen. Gützlaff beherrschte mehrere chinesische Dialekte und war ein Meister der Verkleidung. So gelang es ihm trotz Einreiseverbots für Ausländer, 1831 als Chinese verkleidet an Bord eines chinesischen Seglers die Küsten von Süden bis hinauf in den Norden zu bereisen und genau zu erkunden. Seine auf diese Weise gewonnenen Detailkenntnisse zum Küstenverlauf waren für die ausländischen Opiumschmuggler von unschätzbarem Wert. So trat Gützlaff denn auch bald in die Dienste der britischen Opiumhändler Jardin & Matheson. Mit ihm an Bord der hoch gerüsteten Schiffe machten die Opiumschmuggler überwältigende Gewinne. Später war Gützlaff auch mit von der Partie, als die britische Kriegsflotte 1840 zur gewaltsamen Öffnung des chinesischen Kaiserreichs ansetzte und die Küste hinauf Richtung Norden segelte. Nur er kannte die strategische Bedeutung Zhoushans. Die Insel wurde deshalb besetzt und eine Garnison zur Kontrolle der Yangzi-Mündung abkommandiert. Und während die britische Flotte weiter gen Norden zog, blieb einer als britischer Magistrat auf Zhoushan zurück: der Deutsche Karl Gützlaff. Später machte er einen weiteren Karrieresprung. Er übernahm beim britischen Gouverneur der frisch gegründeten Kolonie Hongkong das Amt des chinesischen Sekretärs.

Frau Liu nahm sich Zeit und Muße, uns drei Tage lang mit der Inselwelt vertraut zu machen. Sie hatte Kuans autobiographischen Roman „Mein Leben unter zwei Himmeln“ gelesen, und vieles darin erinnerte sie an ihre eigenen schmerzlichen Erfahrungen während der Zeit der politischen Massenkampagnen. Aber ist das ein Grund, fremde Menschen gleich für ein paar Tage einzuladen und zu betreuen? Für die Chinesen ja. Die chinesische Gastfreundschaft kann überwältigend sein.



Wer kennt Chongmingdao?

  

Taiwan kennt jeder. Von Hainan haben auch schon viele gehört. Aber wer kennt Chongmingdao, die immerhin drittgrößte Insel Chinas, in der Yangzimündung und damit unmittelbar vor der Haustür Shanghais gelegen?

Bis vor kurzem fristete sie ein abgeschiedenes Dasein. Nur wenige Besucher verirrten sich dorthin. Die Anreise mit Bus und Fähre war recht aufwendig. Nennenswerte historische Baudenkmäler gibt es nicht und auch sonst passierte dort nicht viel. In einer alten Redensart heißt es, die Menschen auf Chongmingdao lebten mit vier Generationen harmonisch unter einem Dach. Niemand brauche sich Sorgen über das Alter zu machen, denn dank fruchtbarer Böden, die durch Schlammablagerungen des Yangzi entstanden sind, und reicher Fischbestände hätte man ein bescheidenes Auskommen. Trotzdem wanderte die Jugend in den vergangenen drei Jahrzehnten ebenso wie anderenorts in China lieber in die modernen Städte ab. Sie wollte von dem beschwerlichen Landleben nicht mehr viel wissen. Dies scheint sich jetzt zu ändern.


Vor einigen Wochen lud ein Opernsänger ein paar Freunde und mich zu einem Ausflug nach Chongmingdao ein. Ich fragte mich heimlich, warum es ausgerechnet auf diese abgelegene Insel gehen sollte. Die Überraschung war groß. Über hochmoderne Autobahnbrücken und Tunnel ging die Fahrt. Im Nu waren wir dort. Von Abgeschiedenheit also keine Spur mehr. Wird die Insel deshalb denselben Weg wie Shanghai gehen und in den nächsten Jahren flächendeckend mit Hochhäusern zugepflastert? Die Behörden verfolgen offenbar andere Pläne. Sie sprechen von Naturschutz, ökologischen Projekten und Nachhaltigkeit. Chongmingdao soll der Garten Shanghais werden, ein riesiges Erholungs- und Freizeitgebiet. Bis zum Jahre 2020 werden über fünfzig Prozent der Insel mit Parkanlagen, Gärten und Wald bedeckt sein. Ich war erstaunt zu sehen, wie viele Ausflügler schon heute per Fahrrad, Boot oder zu Fuß unterwegs sind. Nicht nur die zum Teil atemberaubend schöne Umgebung gibt es zu genießen, sondern auch bestes Essen.

Chongmingdao ist ein Geheimtipp für Gourmets. Berühmt sind Krebse, Fisch und saisonales Gemüse, aber auch Spezialitäten wie Fladen und Reismehlspeisen. Ein Fan unseres Gönners betreibt eine der komfortablen Hotelanlagen, die in den letzten Jahren auf der Insel entstanden sind. Er ließ es sich nicht nehmen, den Opernstar und dessen Freunde zu einem köstlichen Essen einzuladen. Von ihm erfuhr ich so manches Bemerkenswerte. Beispielsweise erzählte er, dass die Bauern Chongmingdaos im Schnitt acht Jahre länger lebten als die stressgeplagten Shanghaier. Dies sei auf die Nahrungsmittel zurückzuführen, die man qualitäts- und umweltbewusst erzeuge. Bis vor kurzem produzierten die Bauern hauptsächlich für den eigenen Bedarf. Doch seit sich die Nachricht von der höheren Lebenserwartung herumgesprochen hat, sind ihre Erzeugnisse der große Renner. Vor allem die gesundheitsbewussten Shanghaier Rentner stürmen die Insel und kaufen die Lebensmittel auf, was zu erhöhter Nachfrage und steigenden Preisen führt. Bei so manchem Insulaner erregt dies allmählich reichlich Unmut, denn neben steigenden Preisen gibt es auch noch verstopfte Bahnen und Busse zu beklagen. Die unternehmungslustigen Shanghaier Rentner reisen nämlich dank der Vergünstigungen im städtischen Nahverkehr zum Nulltarif und rücken deshalb gut gelaunt in wahren Scharen an.

Wie auch immer: wer Zeit und Gelegenheit hat, sollte Chongmingdao unbedingt einen Besuch abstatten. Es lohnt sich.



Kanton und Foshan 1979

 

Erster Teil der bisher unveröffentlichten Reisenotizen des Hans-Wilm Schütte, der heute zu den meistgelesenen deutschen Chinaautoren gehört.


Meine erste Reise in die VR China erfolgte erst im März 1979.  Aufzeichnungen davon besitze ich nicht mehr, aber ausgerechnet über diesen Kurztripp von Hongkong über die Grenze – hin mit dem Flieger, zurück mit der Bahn, dazwischen nur zwei Übernachtungen – über diesen belanglosen Ausflug also haben schon Tausende von Menschen gelesen, und zwar in den Lebenserinnerungen meines Lehrers und Kollegen Kuan Yu-chien: Mein Leben unter zwei Himmeln.
Der Text scheint mir als Einstieg geeignet, weil er die Zerrissenheit spüren lässt, die Maos kulturrevolutionäre Politik in China angerichtet hatte. Zerrissen waren die Familien der Intellektuellen durch die Landverschickung, zerrissen waren die Seelen der Städter durch die politischen Kampagnen, zerrissen waren die chinesischen Traditionen durch eine völlig willkürliche revolutionäre Bewegung, die lediglich der Idee eines Mannes, eben Mao Zedongs, entsprungen war.

Zwei Tage blieben wir in Kanton, wurden dort zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten geführt, unternahmen auch auf eigene Faust kleine Rundgänge und sprachen mit den Menschen, die wir hier und da kennen lernten. Die kurze Zeit hinterließ tiefe Eindrücke. Ich spürte, dass sich die Menschen noch nicht von der Kulturrevolution erholt hatten. Die allgemeine Atmosphäre war unheimlich und bedrückend. Die Straßen erschienen mir trostlos und dunkel, und ähnlich deprimierend wirkten die Menschen in ihrer dunkelblauen Einheitskleidung. Es gab kaum Läden. Wir gingen in eine Buchhandlung. Ein paar trübe Neonröhren warfen dort ihr spärliches Licht auf ein kümmerliches Sortiment. Außer Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Zedong und ein paar Geschichtswerken gab es praktisch nichts zu lesen. Nur wenige Kunden standen in dem Laden, niemand kaufte etwas. Wir gingen in ein Restaurant, das mir noch von früher als eins der besten in Kanton bekannt war. Allein der Eingangsbereich war so schmutzig, und die Kellner waren derart unfreundlich, dass ich mich vor meinen Studenten und Kollegen richtig schämte. Was war nur aus China geworden! Es erschien mir so rückständig und so unerträglich, dass ich Kanton am liebsten so schnellwie möglich wieder verlassen hätte. Aber der Rest der Gruppe sah das anders. Da sie alle Sinologen waren, kamen sie mit ganz anderen Augen nach China als ich. Sie fühlten sich zwar auch nicht wohl, waren aber neugierig und beobachteten alles mit großem Interesse.

Was Kuan hier für 1979 zu Recht konstatiert, galt auch noch bei meiner ersten Rundreise durch China. Das war eine organisierte Tour, die ein Hongkonger Reisebüro organisiert hatte und unter anderem nach Shanghai und Peking führte. In Peking waren die Hotelkapazitäten damals allerdings derart begrenzt, dass die Gruppe in Tianjin nächtigen musste. Als ich dort nach der Ankunft einen kleinen Bummel durch die Umgebung unternahm, begegnete mir mein früherer Kommilitone Harald Richter, der bei der deutschen Botschaft arbeitete und just am selben Tag wie auch ich zum ersten Mal in Tianjin war. Das war also, wie wenn man von Hamburg nach Bremen fährt und dort auf dem Markt einem Freund begegnet, der gerade aus Madrid angekommen ist. Ich wollte dann die Gelegenheit nutzen, mich für einen Tag von der Gruppe absentieren und bei ihm in Peking übernachten, um mir die Hin- und Herfahrerei zwischen Peking und Tianjin zu sparen. Das war nun allerdings keine leichte Sache, denn damals, 1980, war alles noch streng bürokratisch geregelt. Auch Chinesen brauchten außer einer Fahrkarte stets eine Genehmigung zum Reisen im Land selbst bzw. einen entsprechenden Ausweis. Der chinesischen Reiseleiterin habe ich mit meinem naiven Wunsch damals das Leben ganz schön schwer gemacht. Ich musste dann auch selbst mitkommen zur Polizei, um die Genehmigung für eine Zugfahrt nach Peking zu erhalten. Schließlich ging aber alles glatt, und ich bin nicht mal kontrolliert worden – von der Fahrkartenkontrolle natürlich abgesehen.

Damals waren Ausländer zumindest in Tianjin noch derart selten, dass das Zufallstreffen mit meinem früheren Kommilitonen einen riesigen Menschenauflauf auslöste. Dabei taten wir nichts anderes, als uns am Straßenrand angeregt zu unterhalten. Der Kreis der Neugierigen schwoll derart an, dass die Straße blockiert wurde und die Polizei kommen musste, um den Auflauf zu zerstreuen. Uns beiden machte man allerdings keinen Vorwurf.