Schon Marx hat gesagt…
Auszug aus dem Buch „Pulverfass China“:
Herr C., 53, Journalist, Beijing: „Schon Marx hat gesagt, dass die Wirtschaft die Politik kontrolliert. Politische Systeme entstehen und ändern sich mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten eines Landes. Insofern lassen sich Konzepte und Systeme auch nicht übertragen. Es kommt immer auf die Menschen an. China kann die westliche Demokratie nicht einfach kopieren, weil Gesellschaft und Denken in China völlig anders sind als im Westen. Vergleichen wir doch einfach nur zwei Tische, an denen jeweils zwanzig Personen sitzen und essen. An dem einen sitzen Deutsche und an dem anderen Chinesen. Und was passiert? An dem deutschen Tisch werden gedämpfte Gespräche geführt, an dem chinesischen herrscht fröhliches Geschrei, so dass die Deutschen die Chinesen als unzivilisiert betrachten und die Chinesen die Deutschen als langweilig.
Jedes Land hat seine eigene Geschichte und Tradition, deshalb reagieren die Menschen aufgrund ihrer historischen Erfahrungen auch unterschiedlich. Wenn sich beispielsweise im Westen Politiker aus ihrem Amt zurückziehen oder in Pension gehen, dann verabschieden sie sich auch von der politischen Macht. Nicht so in China. Bei uns wollen die politischen Führer auch nach ihrer Pensionierung noch Macht ausüben und in hohen Positionen sitzen. Sie scheuen sich auch nicht, sich in die Arbeit ihrer Nachfolger einzumischen. Macht und Privilegien sind etwas, das man in China nicht gern aufgibt.
Ein Gesetz, das von uns aus den USA oder aus Deutschland übernommen wird, muss hier nicht unbedingt so funktionieren wie in seinem Herkunftsland. Es verändert sich bei uns. Es wird sozusagen sinisiert. Man kann es auch anders ausdrücken: Wir sind chinesische Rettichköpfe, außen grün und innen rosa. Die wachsen nicht auf westlichem Boden. Das ist genauso, als wollte man einen südchinesischen Mandarinenbaum, der in Kanton süße Früchte trägt, nach Nordchina verpflanzen. Dort würde er nur saure Früchte tragen und vielleicht sogar eingehen.
Deutsche monieren häufig , dass wir hier im Lande keine Demokratie hätten, aber wissen sie überhaupt, was geschehen würde, wenn man die deutsche Demokratie auf China überträgt? Ich weiß, dass sich solche Systeme nicht einfach übertragen lassen, aber angenommen, es würde wirklich gelingen, könnte es dann friedlich bei uns zugehen? Daran zweifle ich. Ein Beispiel ist der Irak. Saddam sagte einst, wenn er stürbe, geriete der Irak in großes Chaos. Wie es heute aussieht, scheint er Recht zu behalten. Saddam ist tot. Und ist der Irak heute oder in absehbarer Zeit – wie von den Amerikanern erhofft – befriedet und eine Demokratie?“