Es gibt wohl kaum einen frustrierenderen Job, als den eines Denkmalschützers in China. Früher machte die Ideologie den Leuten das Leben schwer, heute ist es der schnelle Profit. Zu Beginn der so genannten Kulturrevolution rief Mao Zedong zur Zerstörung der “vier Alten” auf – der alten Kultur, alten Sitten, Gebräuche und Denkweisen. Der Prozess des Zerstörens bedeute Kritik und Revolution und folglich Neubeginn. Nur wenn das Altes zerstört würde, könne Neues aufgebaut werden. Die fanatisierte Jugend – als “Rote Garden” organisiert – gab sich alle Mühe, Maos Forderung in die Tat umzusetzen. Mit dramatischen Folgen für Kulturschaffende und das kulturelle Erbe. Die Kulturrevolution endete nach zehn Jahren, doch die Zerstörung sollte weitergehen, denn mit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik setzte ein gewaltiger Wirtschaftsboom ein, dessen Triebfeder der Städte- und Wohnungsbau wurde. Reihenweise fielen Stadtviertel dem Abriss zum Opfer, unzählige historische und erhaltenswerte Bauwerke gingen für immer verloren. Chinas Metropolen haben längst ihr individuelles Gesicht verloren und gleichen einander mit glitzernden Bürotürmen, weitläufigen Plätzen, breiten Straßen, Einkaufszentren und Hochhaussiedlungen. Deswegen überrascht es immer wieder, wenn doch einmal etwas Altes erhalten und sinnvoll genutzt wird. Wie etwa in Hangzhou, am südlichen Ende des Kaiserkanals. Dort beschlossen Investoren und Vertreter der Stadt, die “Kultur am Kaiserkanal” wieder aufleben zu lassen. Zu diesem Zweck sollten an dessen Ufern mehrere historische Wohnviertel, Lagerhäuser und Werkstätten abgerissen und durch moderne Hochhaussiedlungen ersetzt werden. Nun ist der Kaiserkanal nicht irgendein Gewässer, sondern der längste und älteste künstliche Wasserweg der Erde und neben der Großen Mauer eins der bedeutendsten historischen Bauwerke Chinas. Obwohl erste Abschnitte schon aus vorchristlicher Zeit stammen, gilt Kaiser Yangdi der Sui-Dynastie als Bauherr. Ende des sechsten Jahrhunderts ließ er das umfassende Kanalsystem anlegen, das unter späteren Kaisern noch ausgebaut wurde. Mit einer Länge von 1794 Kilometern kreuzte der Kaiserkanal in Nord-Süd-Richtung unter anderem den Gelben und den Jangzi Fluss, also die größten Flussläufe des Landes, und verband diese zu einem gewaltigen Verkehrsnetz. Dadurch wurde zwischen dem Süden und Norden Chinas ein reger Austausch an Waren und Wissen ermöglicht. Erst durch den Kaiserkanal entwickelten sich Städte wie Hangzhou zu blühenden Handelsmetropolen. Nicht grundlos nannte Marco Polo Hangzhou denn auch die glanzvollste Stadt der Welt.
Der Protest gegen den Abriss der historischen Viertel am Ufer des Kanals ließ nicht lange auf sich warten, doch zeigte er bei den Behörden erst Wirkung, nachdem vieles schon zerstört war. Der späte Erfolg kann sich dennoch sehen lassen. So wurden beispielsweise mehrere Lagerhäuser und Fabrikhallen erhalten und in ein weitläufiges Zentrum für traditionelles Kunsthandwerk verwandelt. Ob Drachenbau, Scherenschnitt, Fächer, Sonnenschirme oder Seidenstickerei, ob Scheren oder Skulpturen – der riesige Komplex beherbergt mehrere Museen, die mit ihrer großen Vielfalt an hervorragend präsentierten Exponaten einen beeindruckenden Überblick über die Entwicklung des chinesischen Kunsthandwerks und dessen Verbreitung über den Kaiserkanal geben.
Unter den Besuchern befinden sich auffallend viele Eltern mit ihren Kindern, denn die Verantwortlichen haben sich einiges einfallen lassen, um auch junges Publikum anzuziehen. So demonstrieren auf eigens angelegten Werkplätzen verschiedenste Kunsthandwerker ihr Können, und jeder kann ihnen beliebig über die Schulter schauen. Mancher muss durch Absperrungen vor zu großem Ansturm geschützt werden. Besonders umlagert sind die vielen Werktische, an denen sich Kinder unter Anleitung von jungen Studenten in die Handwerkskünste einführen lassen können. Deswegen erinnert der Lärmpegel in einigen Teilen der Räumlichkeiten auch eher an einen gut besuchten Kinderspielplatz als an ein Museum. Das tut dem Ganzen aber keinen Abbruch. Im Gegenteil. Man kann nur hoffen, dass das Hangzhouer Beispiel im Lande noch viel Nachahmung findet.