In diesem Sommer kamen mehrere Shanghaier Freunde nach Berlin. Einige kennen sich auf allen Kontinenten aus, sind also weit gereist. Ich fragte mich, was ich ihnen zeigen sollte, denn ich hatte mich erboten, sie herumzuführen. Das übliche touristische Programm? Nicht nötig, lehnte ein Paar ab. Es hatte sich bestens vorbereitet, wusste genau, was es sehen wollte. Die Frau hatte eine Liste aufgestellt, die sie beide allein in vier Tagen zügig abarbeiteten. Dabei ging es mit öffentlichen Verkehrsmitteln von einem Punkt zum nächsten. Als das Paar schließlich abreiste, gab es mir seine Enttäuschung über Berlin zu verstehen. Die einstmals geteilte Stadt hätte es in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht geschafft, wieder zu einer harmonischen Einheit zusammenzuwachsen. Allein der Blick vom Hauptbahnhof Richtung Kanzleramt sei eine einzige öde Fläche. Und dann die so genannte Neue Mitte: eine Ansammlung von einfallslosen rechteckigen Klötzen aus Stahl, Glas und Beton. Auch die öffentlichen Verkehrmittel – wie etwa die S-Bahn – wären auf vielen Strecken völlig heruntergekommen und einer Hauptstadt nicht würdig. Einziger Lichtblick: das KaDeWe mit seiner Feinschmecker-Etage. Ihr Fazit? Berlin – muss nicht sein. Recht haben sie in vielem, das sie beanstandeten, dachte ich. Und doch…
Zwei andere Freunde mieteten sich Fahrräder und erkundeten radelnd die Stadt: bei strahlendem Sonnenschein ging es durch den Tiergarten, das alte Westberlin, die Neue Mitte, das Prenzlauer Viertel. Abends zogen sie durch Bars und Jazz-Clubs, ein Metier, auf dem sie sich bestens auskennen. Sie gewannen einen völlig anderen Eindruck, als die beiden vorgenannten Freunde. Sie werden wiederkommen. Auf jeden Fall.
Dann kam ein bekannter Journalist, der zwar schon mehrmals in Berlin war, sich aber doch noch einmal gern von mir herumchauffieren ließ, um in aller Ruhe und mit viel Zeit zum Fotografieren das touristische Programm einschließlich Potsdam abzuspulen. Nebenbei wurde auch der eine oder andere Flohmarkt besucht. Mit seinen Fotos und Kommentaren informiert er täglich eine große chinesische Fangemeinde. Sein Eindruck von Berlin? Hoch interessant und spannend. Er kommt wieder, aber das nächste Mal nicht allein und nicht nur für vier Tage, sondern gemeinsam mit seiner Frau und für mindestens drei Wochen.
Den Vogel schoss ein wohlhabender Rechtsanwalt ab, der ein großer Musikliebhaber, Hobbyhistoriker und Feinschmecker ist, sehr belesen und bestens informiert. Die Berliner Musikszene? Welch ein Vergnügen! Die echte Berliner Küche, und dann das Treffen mit Berliner Freunden an einem See im Havelland, wo es frische Wollhandkrabben gab (siehe Artikel auf dieser Seite: „Krabbenzeit im Havelland“) – ein Genuss!
Die zahlreichen Flohmärkte. Dann ein Besuch in der Gedenkstätte der Wannsee-Konferenz und in Potsdam. Er war begeistert. Und da er sich als Rechtsanwalt und Investor bestens auf dem Shanghaier Immobilienmarkt auskennt und ihn die im Verhältnis dazu niedrigen Preise in der deutschen Hauptstadt erstaunten, kaufte er kurz entschlossen gleich zwei Wohnungen in der Neuen Mitte. Denn von dort könne er zu Fuß zum Gendarmenmarkt, um Veranstaltungen im Konzerthaus und im Französischen Dom zu besuchen. Berlin ist für ihn das aufstrebende europäische Zentrum für Kunst und Kultur, wo er fortan mehrere Wochen im Jahr verbringen möchte.