„O China, Land auf alten Wegen – Wahrhaftige Entdeckungen auf einer west-östlichen Lebensfahrt“

 

Eine Fußnote in einer wissenschaftlichen Arbeit machte mich auf ihn aufmerksam: Hans Heinz Hinzelmann. Wer war dieser Mann? Ein kurzer Blick in die gängigen Online-Suchmaschinen läßt schnell ahnen, welcher Art Schicksal sich hinter diesem Namen verbirgt: Hans Heinz Hinzelmann,1889 in Lübeck geboren, 1970 in Berlin gestorben, deutscher Schriftsteller, Librettist, Theaterintendant, Jude. Nach Gefängnis und Konzentrationslager Flucht vor dem deutschen Faschismus. Über Umwege erreichte er Shanghai, den sicheren Hafen für viele Tausend jüdische Flüchtlinge aus Europa. 1948 erschienen seine Erinnerungen an die Zeit des Exils: „O China, Land auf alten Wegen“. Ich besorgte mir das Buch und erlebte eine spannende, aufschlussreiche Lektüre.

Hinzelmann begibt sich im März 1938 in Marseille an Bord des Dampfers Aramis. „Jede Flucht ist wie ein Sprung in einen Abgrund.“ Schon viele Länder hat er als Flüchtling kennen gelernt. Jetzt hofft er auf Asyl in Indien. In Bombay bittet er den zuständigen britischen Offizier um Aufenthaltserlaubnis und vertraut dabei – wie er ihm sagt – auf die demokratischen Menschenrechte. Der Brite bestätigt seinen Anspruch auf Menschlichkeit und verspricht, den Fall dem stellvertretenden Gouverneur vorzulegen. Dumm nur, dass dieser gerade einen mehrwöchigen Jagdausflug macht. Hinzelmann möchte auf dessen Rückkehr warten, darf aber nicht, denn ihm fehlt ja die entsprechende Genehmigung. „Sorry“, bedauert der Beamte. Dieses Sorry hatte seine Logik, bemerkt Hinzelmann im Nachhinein. „Auf dieses mitleidige Achselzucken stießen wir Flüchtlinge überall in der Welt. Das nannte man damals, sich nicht in innerdeutsche Angelegenheit mischen. Die englische Demokratie wurde ängstlich vor den Toren der britischen Dominien geschützt.“

Eine Flüchtlingsorganisation empfiehlt ihm schließlich, nach Shanghai weiterzureisen, dem einzigen Ort, der jüdische Flüchtlinge ohne Visum und Aufenthaltserlaubnis aufnimmt. Hinzelmann folgt diesem Rat und erreicht China.

„Ein Flüchtling ist immer einsam…, immer ratlos und rastlos in der Fremde, und es gibt nur Wenige, die ihm uneigennützig weiterhelfen“, heißt es zu Beginn seines Buches. Mit der zweifelhaften Hilfe eines Deutschen und eines Dänen – beide seit langem mit China vertraut – investiert er sein Geld in ein Fotogeschäft in der Bubblingwell Road (heute westl. Nanjinglu), der damaligen Hauptachse der Internationalen Niederlassung. Schon nach kurzer Zeit verliert er alles. Daraufhin verlässt er das teure internationale Settlement und zieht in eine Kammer im übervölkerten chinesischen Hafenviertel Hongkew. Zum Entsetzen seiner europäischen Bekannten, denn: „Wer dort wohnt, gehört nicht mehr zur weißen Gesellschaft!“ Doch gerade bei den „chinesischen Kleinbürgern und Arbeitern in Hongkew“ finden Tausende von europäischen Juden Unterschlupf. Dort hatte man offensichtlich Verständnis für die Lage der ausländischen Flüchtlinge, „während die Weißen drüben in den Settlements, in ihren Klubs und ihrem Wolkenkratzerluxus die weißen Refuges aus Europa in überstiegener Arroganz als Parias ansahen.“ Von seinem Fenster aus sieht er das chinesische Leben und Treiben vorüberfließen. Dann schämt er sich oft „der westlichen Überheblichkeit und der Verkennung des Charakters fremder Völker. Dann ließ mich oft die Frage nicht mehr los, …ob nicht der Schulmeistergeist die Kurzsichtigkeit, die Überheblichkeit und die Wertverschiebung bei uns geschaffen habe.“

Hinzelmann erlebt größtes Elend und den allgegenwärtigen Terror der japanischen Besatzung. Nach den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki und dem Ende des zweiten Weltkrieges sehnt er sich voll Ungeduld nach Deutschland zurück, obwohl ihn mancher in China zu halten versucht. Als sein Schiff Shanghai in Richtung Europa verlässt, blickt Hinzelmann noch einmal zurück auf die Stadt, in der er die letzten Jahre verbracht hat. Er denkt an die Menschen, die er niemals wiedersehen wird. Sein letzter Satz im Buch seiner Erinnerungen lautet: „Aber ewig werde ich dich lieben um deines Geistes und deiner Menschen willen, dich, China, Land auf alten Wegen!“

Hans Heinz Hinzelmann: O CHINA    Land auf alten Wegen, Braunschweig 1948