Wenn die Malerei den Menschen anrührt

  

Eine Begegnung mit Gertraud Sommer, die den Maler Zeng Mi nach Deutschland brachte.

Ich war mit meinem Mann auf Vortragsreise in Süddeutschland. Malerei stand nicht auf unserem Programm, stattdessen die aktuelle Situation in China. Trotzdem fragte mich ein Freund in München, ob ich nicht Lust hätte, mir bei dieser Gelegenheit Tuschemalerei von Zeng Mi anzuschauen. Zeng Mi stellt in München aus?, fragte ich erstaunt.

Der Maler, Kalligraph und Kunsttheoretiker Zeng Mi, Jahrgang 1935, gehört zu den bedeutendsten noch lebenden expressionistischen Tuschemalern Chinas. Er lebt und wirkt in Hangzhou. Vor Jahren bekam ich den Katalog einer Zeng Mi-Ausstellung geschenkt, die in Deutschland stattgefunden hatte. Die Arbeiten beeindruckten mich damals zutiefst, und ich bedauerte es, sie nie im Original gesehen zu haben. Leider, so erfuhr ich nun, sei Zeng Mi nicht zugegen. Aber ich könne die Frau kennen lernen, die ihn in Deutschland vertritt und die einige Bilder von ihm besitzt. So lernte ich Gertraud Sommer kennen.

1991 begleitete sie ihren Mann, einen Juristen, zu einer Tagung nach China. Diese Reise sollte ihr Leben verändern, sagt die heute achtzigjährige Dame. Die chinesische Malerei war bis dahin wie ein weißes Blatt für sie gewesen. Das änderte sich auch nicht beim Besuch des Kaiserpalastes in Beijing, wo sie wertvolle Gemälde und Kalligraphien sah. Sie wirkten wie Tapeten auf sie. Dann kam sie nach Hangzhou und dort begegnete sie Zeng Mi. Ein Zufall führte sie in sein Atelier. Vom ersten Augenschein an spürte sie eine unglaubliche Faszination. Da malte jemand, dessen Sprache sie nicht verstand, dessen kulturelle Prägung eine völlig andere war als die ihre und dessen Werk sie dennoch zutiefst berührte. Seine Bilder packten sie, gingen ihr nahe, und sie konnte es nicht fassen, dass  Zeng Mi in Deutschland unbekannt war. So entstand der Entschluss, sich für seinen Ruf einzusetzen. Mit einem Dutzend seiner Bilder kehrte sie nach München zurück. Aber die Zeit war für ein Interesse an chinesischer Kunst wohl noch nicht reif. Wo immer sie um die Möglichkeit einer Ausstellung nachsuchte, erhielt sie Absagen. Gertraud Sommer fühlte sich unverstanden und verletzt. Bald wurde klar: ihr Mann und sie mussten selbst etwas unternehmen. Zunächst stellten sie Zeng Mis Werke in ihrem eigenen Reihenhaus aus und Verwandte, Freunde und Bekannte bestätigten den positiven Eindruck. Dadurch ermutigt organisierten sie im Geranienhaus des Nymphenburger Schlossparks eine Ausstellung, zu der Zeng Mi eigens mit weiteren Werken anreiste. Das Echo auf diese Ausstellung war unerwartet groß. Weitere private Ausstellungen folgten. Als dann 1997 das Museum für Ostasiatische Kunst der Stadt Köln eine bedeutende Ausstellung chinesischer Tuschemalerei plante,  an der auch Zeng Mi beteiligt war, beschlossen die Eheleute Sommer, den Bildband “Zeng Mi, Chinesischer Tuschemaler der Gegenwart“ herauszugeben, um auf den Künstler aufmerksam zu machen – eben jenen Bildband, der mich später in Hamburg erreichte.

In der Folge gelang es ihnen, unter anderem Einzelausstellungen in den Ostasiatischen Museen Berlin und Köln sowie im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg und im Östasiatiska Museet, Stockholm, anzuregen. Gemeinsam mit dem Ostasiatischen Museum Berlin gaben sie in diesem Zusammenhang einen zweiten Bildband für Zeng Mi heraus.

Inzwischen ist Zeng Mi ein im In- und Ausland gefragter Künstler. Und Gertraud Sommer? Sie lebt heute umgeben von chinesischer Tuschemalerei. Unterstützt von dem jungen Künstler Liu Bing organisiert sie regelmäßig Ausstellungen und Kurse für chinesische Kalligraphie und Tuschemalerei. Nach wie vor besteht auch eine tiefe Verbundenheit zu Zeng Mi und seinem Werk. Gertraud Sommer lächelt, als ich sie auf ihr großes Engagement anspreche und antwortet: „Es waren Zeng Mis Bilder selbst, die nach Deutschland wollten. Sie haben sich nur meiner Hilfe bedient.“