Der See der tausend Inseln

 

Von der schlechten Atemluft in manchen chinesischen Städten haben wir in den letzten Wochen schon viel gehört. Wie aber steht es eigentlich um die Trinkwasserqualität? Dass wir in Deutschland einfach nur den Hahn aufzudrehen brauchen, um gutes Wasser genießen zu können, ist ein Luxus, der vielen Menschen gar nicht bewusst und in nur wenigen anderen Ländern gegeben ist. Fragt man in Shanghai, ob das Leitungswasser genießbar ist, erhält man meist eine typisch chinesische, sprich ungenaue Antwort: es sei „nicht gut trinkbar“. Ja, was denn nun? Kann man oder kann man es nicht trinken? Viele trinken es, kochen es aber auf jeden Fall vorher ab. Manche Haushalte installieren in ihrer Küche eine eigene Filteranlage. Andere bestellen sich das Trinkwasser in blauen Plastikkanistern ins Haus. Das geht denkbar einfach. Ein Anruf genügt und schon kommt ein Lieferant aus der Nachbarschaft auf seinem Moped angedüst und wuchtet ein, zwei Flaschen in die Wohnung oder ins Büro, jede 19 kg schwer, für etwa 16 Yuan, knapp 2 Euro, pro Flasche.

Es gibt verschiedene Wasseranbieter. Wir haben uns eher zufällig für das Nongfu-Mineralwasser entschieden. Man sieht es überall in großen und kleinen Flaschen abgefüllt. Halb Shanghai scheint es zu trinken. Da habe ich mich manchmal gefragt, wo soviel Wasser eigentlich herkommt. Ob es nicht vielleicht doch aus Shanghaier Wasserleitungen stammt? Aber nein, wurde mir versichert. Es stamme aus dem Qiandaohu, dem See der tausend Inseln. Von dem hatte ich vorher noch nicht viel gehört. Doch dann bekam ich Gelegenheit, ihn mir einmal genauer anzusehen.

Er liegt in der Provinz Zhejiang und ist von Menschenhand geschaffen. Ende der 1950er Jahre baute man dort den über hundert Meter hohen Xin’an-Staudamm und flutete ein ganzes Tal mit dem Wasser des Xin’an-Flusses. Dadurch entstand ein Seengebiet von 573 Quadratkilometern mit – wie es der Name „Qiandaohu“ schon andeutet – über tausend größeren und mehreren tausend kleineren Inseln. Eine atemberaubend schöne Landschaft, vielerorts romantisch anmutend, mit klarem Wasser, bewaldeten Hügeln und guter Luft. Meine Begleiterin, die dort aufgewachsen ist, erzählte mir von einer wahren Idylle, die sie während ihrer Kindheit am Ufer des Sees erlebt hat. Heute ist davon zumindest an den Wochenenden und Feiertagen nicht viel zu spüren. Denn seit den 1990er Jahren hat sich die Gegend in ein überaus beliebtes Naherholungsgebiet verwandelt mit Hotels, Restaurants und Läden unterschiedlichster Güte. Veranstalter bieten Bootsausflüge zu einzelnen Inseln an, etwa zur Insel der Vögel oder der Schlangen. Wer das Abenteuer sucht, kann auch mit entsprechender Ausrüstung zur einstmals bekannten uralten „Stadt der Löwen“, die auf dem Grund des Sees liegt, hinabtauchen. Wir entschieden uns für einen Ausflug zur Affeninsel und zischten mit einem kleinen Motorboot und gesichert durch Schwimmwesten über das Wasser hinweg. Auf der Insel angekommen merkten wir schnell, dass Vorsicht geboten war, denn die diebischen Bewohner erleichtern gern die ahnungslosen Besucher um Brille, Hut und alles Essbare.

Nach einem langen Nachmittag voller Trubel und Geschrei auf einzelnen Inseln und am Ufer des Sees, nach einem ausgiebigen Essen und einem Streifzug durch die Andenkenläden machte ich mir dann aber doch langsam Sorgen um die Qualität meines schönen Nongfu-Mineralwassers. Aber meine Begleiterin winkte ab und meinte augenzwinkernd: „Wir haben uns mit dem Seewasser immer die Füße gewaschen und das hat niemandem geschadet.“