Tan Dun gehört zu den erfolgreichsten Komponisten und Klangkünstlern unserer Zeit. Hamburg ehrte ihn 2011 mit dem Bach-Preis.
Eine Wasser überspülte Bühne. Musiker in Gummihosen und Gummistiefeln. Tänzerinnen, die fröhlich um sich spritzen, so dass manche Zuschauer auf den teuren Plätzen der ersten Reihe erschrocken in Deckung gehen. In der Ferne singende buddhistische Mönche. Meditative Klänge folgen auf lauten Rock. Atemstöße, Seufzer und das Klingen von Wasser und Metall folgen auf Bach. Willkommen in der „Water Music Hall“ des Tan Dun!
Ich hatte schon mehrfach Gelegenheit, Tan Dun und seine Musik live zu erleben. Etwa 1997 anlässlich der Rückgabe Hongkongs an China, als während der Feierlichkeiten seine eigens komponierte „Symphonie 1997“ aufgeführt wurde. Oder während der Olympiade in Beijing 2008, als China und die ganze Welt täglich Tan Dun hörten, weil er die Musik zur Siegerehrung geschrieben hatte. Ich erlebte ihn damals bei einer Abendveranstaltung, als er seine Komposition vorstellte und ihm anzusehen war, wie stolz und glücklich es ihn machte, seine Musik fortan bei jeder Medaillenvergabe hören zu können. Man muss den Mann mögen, wenn man ihn erlebt und die Begeisterung spürt, mit der er sich seiner Arbeit und immer neuen Ideen und Experimenten widmet.
Tan Dun, 1957 geboren, stammt aus Hunan, der Heimat für Geister- und Spukgeschichten. Eindrücke aus diesen Geschichten scheinen in seine Musik mit einzufließen. Während der Kulturrevolution arbeitete er als Reisbauer, später studierte er in Beijing und in den USA, und in beiden Welten ist er auch heute noch zu Hause, in New York ebenso wie in Shanghai. Die Eindrücke aus beiden Welten verarbeitet er, indem er wie kein anderer Chinesisches und Westliches, Traditionelles und Modernes, Himmel, Mensch und Natur miteinander verbindet und auch die ungewöhnlichsten Materialien zum Klingen bringt. An Mut und Ideenreichtum ist dieser Mann kaum zu überbieten.
Wer die Vielseitigkeit und ungewöhnliche Phantasie Tan Duns hautnah erleben will, sollte sich nach Zhujiajiao begeben, nur etwa eine knappe Autostunde von Shanghai entfernt. Jenes einst durch Handel und Handwerk reich gewordene Wasserstädtchen ist heute mit seinen vielen pittoresken Brücken und traditionellen Häusern ein Touristenzentrum. Sobald sich jedoch gegen Abend die Gassen leeren, kehrt Ruhe ein und dann hört man das leise Plätschern, wenn die Boote den Fluss entlang gestakt werden, hört die Gesänge der Mönche und die Stimmen der Anwohner. Tan Dun kam einst hierher, um lokales Liedergut zu sammeln. Das beschauliche Leben und der Reichtum an alten Traditionen inspirierten ihn, und er entschloss sich zu einem ungewöhnlichen Projekt. Direkt am Fluss ließ er zwei mehrere Jahrhunderte alte Häuser restaurieren und verwandelte sie zu einer „Water Music Hall“. Dabei blieb er seinem Anliegen, Chinesisches mit Westlichem zu verbinden, weiterhin treu: Die gesamte Anlage ist eine grandiose Mischung aus zweckmäßigem Bauhausstil und Ming-zeitlicher, durch klare Linien geprägte Architektur. Der großzügig angelegte Bühnenraum besteht aus zwei großen mit Wasser bedeckten Flächen. Die dahinter gelegene Glaswand gibt den Blick frei auf den jenseits des Flusses gelegenen buddhistischen Tempel. Im oberen Stockwerk befinden sich Wohn- und Arbeitsräume. Hier schuf Tan Dun sein „Water Concerto: A Drop from Heaven“, und wenn er im Lande ist, führt er auch selbst in die Veranstaltungen ein und erklärt den folgenden Dialog zwischen Bach und Zen, bringt die Architektur, also Säulen und Treppen, zum Klingen und macht durch Videoeinspielungen die Musik sichtbar. Wenn sich dann im Laufe des Konzerts die hinteren Glaswände öffnen und der rituelle Gesang der Mönche im gegenüber liegenden Tempel herüberdringt und die Musiker Wasser aus riesigen gläsernen Schalen schöpfen und es wie vom Himmel hinuntertropfen lassen, vergisst man Raum und Zeit und fühlt sich wie in einem Traum. Ein atemberaubendes Erlebnis!