Tianmushan – im Reich der Baumriesen und von der Weisheit chinesischer Bauernburschen

  

Schon am Ausgangspunkt unserer Wanderung bestürmten sie uns: acht junge Bauernburschen aus der Umgebung, die uns mit ihren vier Tragesesseln durch das Gebirge schleppen wollten. Sahen wir so aus, als hätten wir das nötig? Ich – für meinen Teil – besaß reichlich Wandererfahrung. Zwar lag das schon einige Jährchen zurück, aber immerhin. Mit meinen Eltern war ich viele Male in den Sommerferien durch Alpen und Dolomiten gewandert. Später, in den 1980er Jahren, erwanderte ich dann manch chinesisches Gebirge, wie den Huangshan, von dem es heißt, man könne alle anderen Berge vergessen, wenn man nur ihn gesehen hätte. Zugegeben, schon damals glaubte ich, mein letztes Stündchen hätte geschlagen, so anstrengend war die Tour. Chinesische Wanderwege führen nicht wie in Alpen und Dolomiten über mehr oder minder steile Wege, sondern über steinerne Stufenpfade. Ob im Huangshan, Emeishan oder Wuyishan, sobald es im Gebirge steil wird, geht es über Steinstufen, die uneben und unregelmäßig hoch sind.

Unser ortskundige und durchtrainierte Freund versicherte uns, dass die von ihm geplante Tour nicht viel mehr als ein längerer Spaziergang, eben ein kleiner Ausflug sein würde. So lehnten wir das Angebot der Bauern dankend ab. Sie begannen ein lautes Palaver, zeigten auf meine drei Freundinnen und mich und meinten, wir würden sicherlich schlapp machen. Freundlicherweise gingen sie im Preis auch noch etwas herunter. Ich sollte mich auf einem Tragesessel durch ein chinesisches Gebirge schaukeln lassen? Lächerlich! Nie und nimmer! Die anderen lehnten das Angebot ebenso brüsk ab. Und so zogen wir los. Jedoch folgten uns die jungen Burschen leichtfüßig, aber in gebührendem Abstand und fröhlich schwatzend in einem für uns alle unverständlichen Dialekt. Auch wir waren eine lustige Truppe von insgesamt neun Personen, die ebenfalls meist alle gleichzeitig durcheinander redeten und gestikulierten, aber manchmal hielten wir eben auch inne und blieben stehen, überwältigt von der grandiosen Landschaft: Tianmushan, das Reich der uralten und seltenen Bäume, von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt. Es liegt im Westen der Provinz Zhejiang und ist für jeden, der sich auch mal abseits der üblichen Touristenpfade bewegen möchte, ein absolutes Muss. Inmitten üppiger Vegetation und schroffer Felsen stehen Baumriesen, deren Stämme sich nur von mehreren Personen mit ausgestreckten Armen umfassen lassen. Ginkgo, Bambus, Goldlärchen, Tulpen- und Kuchenbaum und vieles mehr sind zu sehen. Wer hier wandert, kommt zur Ruhe und verstummt in Ehrfurcht vor der atemberaubenden Natur. Außer man hat acht gutgelaunte Bauernburschen im Rücken. Mehrmals baten wir sie, doch lieber umzukehren. Wir würden ihre Dienst sowieso nicht in Anspruch nehmen. Sie lachten nur und blieben uns auf den Fersen, denn sie wussten es besser.

Nach zwei Drittel der Tour kam nämlich doch der Moment, an dem die erste von uns älteren Mädels glaubte, keinen Schritt mehr über Stock und Stein kriechen zu können, und schließlich saßen wir alle vier in den Tragesesseln, übrigens zum gleichen Preis, den wir schon am Ausgangspunkt der Wandertour hätten zahlen können, und dennoch waren wir unglaublich dankbar, dass sich die freundlichen Jungs nicht hatten abschütteln lassen. Auch wenn uns das viel Spott von unseren Männern eintrug.