Mit einem Musikdampfer und hundert Chinesen unterwegs

 

In diesen Sommerferien wollte ich mal nichts mit China zu tun haben, was in meinem speziellen Fall eigentlich unmöglich ist, denn mein Mann ist ein heimatverbunder Chinese, der sich zudem eines großen chinesischen Freundeskreises erfreut. Zumindest sollte es nicht wie so oft in irgendwelche fernen chinesischen Regionen gehen, und deshalb entschlossen wir uns, ganz gemütlich auf einem deutschen Kreuzfahrtschiff durch das Mittelmeer zu schippern, mit Aufenthalten auf Malta, in der Türkei und in Griechenland.

Mit an Bord waren die Wiener Philharmoniker und der schwedische Dirigent Herbert Blomstedt. Für jeden Tag auf See waren öffentliche Orchesterproben und Kammermusik eingeplant und an Land Auftritte in Konzerthallen und – in der antiken Ruinenstadt Ephesus – ein Konzert unter freiem Himmel. Schubert, Mozart, Beethoven und Haydn standen auf dem Programm. Herrlich! Wer denkt da noch an China? Aber ich hatte nicht an die Reiselust der Chinesen gedacht. Schon beim Einchecken vernahm ich vertraute Klänge und wenig später, beim ersten Abendessen, folgte die große Überraschung: Über einhundert musikbegeisterte Chinesen waren mit von der Partie. Das musste selbst die Reederei überrascht haben, denn die war nur ungenügend auf des Deutschen unkundige Gäste eingestellt. Die Beschilderung auf dem Schiff war weitgehend deutschsprachig, von ein paar englischen Ausnahmen abgesehen. Ein fließend Englisch sprechender Chinese bat mich gleich am ersten Abend, für ihn “Vorsicht Stufe” zu übersetzen, ein Hinweis, der ihm mehrmals aufgefallen war.

Kaum hatte das Schiff abgelegt, zeigten sich auch schon manch unterschiedliche Vorlieben von Deutschen und Chinesen. Zum Beispiel gleich am ersten Morgen, als für viele meiner Landsleute der tägliche Kampf um eine Liege in der Nähe des Pools begann, um anschließend schön eingeölt stundenlang in der prallen Sonne zu schmoren. Die Chinesen verkrümelten sich stattdessen lieber in den Schatten, wo sie in Gruppen zusammen saßen und fröhlich schwatzten. Sie mögen eben nicht gern braun werden. Und dann an Land, wenn es auf Besichtigungstour wie etwa zur Akropolis ging und die örtlichen Reiseführer mit langen Erklärungen auf jede Einzelheit der Sehenswürdigkeiten eingingen. Dann standen die Deutschen still und lauschten artig, während die Chinesen schnell ungeduldig wurden und mit fröhlichem Geschnatter einfach weiterzogen, weil es ihnen eben doch am meisten Spaß bringt, sich pausenlos selbst zu unterhalten.

Übrigens hatte ein findiger taiwanesischer Reiseveranstalter für die vielen musikbegeisterten Chinesen an Bord gesorgt, und da man inzwischen auf Festland und Insel bestens zusammenarbeitet, stammten die Gäste gleichermaßen aus Beijing, Shanghai, Taibei und Hongkong und verstanden sich prächtig. Der Reiseveranstalter hatte nebenbei noch für eine musikalische Überraschung gesorgt, indem er eine bekannte Pipa-Virtuosin verpflichtete: Zhang Hongyan, Dozentin am Zentralen Konservatorium in Beijing und häufig auf Konzertreisen im In- und Ausland unterwegs. Als Soloinstrument hatte mich die Pipa nie sonderlich begeistert, zumal sich viele bekannte überlieferte Stücke einem wilden Schlachtengetümmel widmen und mir die schrillen Töne schnell auf die Nerven gingen. Seit ich Zhang Hongyan spielen hörte, hat sich das geändert, denn nie zuvor erlebte ich eine Solistin, die mit so viel Gefühl und Leidenschaft die Pipa zu spielen weiß und sich auch nicht scheut, moderne Ansätze in ihr Spiel aufzunehmen. In diesem Falle waren sich Deutsche und Chinesen einig. Sie waren hingerissen.